Ausstellungen
Die Porträts von Luisa Torelli Tagliabue und Luisa Violini Tacchi
Zwei Meisterwerke Segantinis im Dialog
Ende 2022 gelang der Gottfried Keller Stiftung und der Giovanni Segantini Stiftung mit Hilfe grosszügiger Sponsoren der Erwerb des Ritratto della Signora Torelli (Bildnis von Frau Torelli, 1880), eines Werkes, das innerhalb der Porträtkunst Segantinis aufgrund des raffinierten synthetischen Malstils sowie der chromatischen und lichttechnischen Kühnheiten eine ganz besondere Stellung einnimmt. Die Giovanni Segantini Stiftung möchte diese bedeutende Erweiterung des museumseigenen Bestandes mit einer kleinen Ausstellung feiern.
Dank neu entdeckter Dokumente konnte der italienische Kunsthistoriker und Kurator Niccolò d‘Agati belegen, dass das bisher auf die Jahre 1885–1886 datierte Bildnis von Frau Torelli tatsächlich bereits 1880 entstanden ist. Giovanni Segantini war erst 22 Jahre alt. Bei der Porträtierten handelt es sich um Luisa Tagliabue Torelli, berühmtes Modell bedeutender lombardischer Künstler wie Tranquillo Cremona, Daniele Ranzoni, Emilio Longoni und Antonio Mancini.
Das Gemälde befand sich seit 1900 im Besitz derselben deutsch-jüdischen Familie, die es 1938 mit ins Exil in die USA nahm. Nun, nach 85 Jahren, kehrt es endlich nach Europa zurück und kann dauerhaft dem Publikum zugänglich gemacht werden. Die von Niccolò d’Agati kuratierte Sonderausstellung bringt das Bildnis von Frau Torelli ins Gespräch mit dem von Segantini im selben Jahr entstandenen Bildnis von Luisa Violini Tacchi.
Die beiden Porträts wurden 1880 zusammen in der Jahresausstellung der Accademia Brera präsentiert, die für den jungen Segantini das Debüt in der Mailänder Kunstszene bedeutete. Die Werke stellen zwei unterschiedliche, aber komplementäre Formen des Umgangs mit dem Genre des Porträts dar: Das rätselhafte Bild von Luisa Violini Tacchi – bekannt auch als Bildnis einer kranken Frau – greift intimistische und psychologische Anregungen auf, indem es den Blick der Dargestellten in den Mittelpunkt stellt. Stattdessen setzt sich das Porträt von Frau Torelli, auch bekannt unter dem Titel Al sole (In der Sonne), durch die Wahl des Schauplatzes im Freien, am Naviglio-Kanal, von der gängigen Porträt-Ikonographie ab und belegt Segantinis Mut zu koloristischen Experimenten, der sich in der Suche nach gewagten Licht- und Hell-Dunkel-Effekten im Spiel des Gegenlichts manifestiert. Neben den Porträts und der im selben Jahr entstandenen Stadtszene Il Naviglio a ponte San Marco zeigt die Ausstellung dokumentarisches Material zu den beiden Porträts sowie zur Geschichte der dargestellten Personen.